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Celtic Tradition – I Have Waited For Many A Night And Day (1984)

AMIGA 856113
(1 Exemplar – eigene Sammlung)

Covertext

Es gibt Musik, die erschließt sich erst nach mehrmaligem Hören Andere hingegen öffnet sich bei der ersten Begegnung und vermittelt einen Eindruck von Vertrautheit. Ein solches Gefühl hatte ich beim Anhören dieser Platte, von deren Interpreten ich bis dato noch nicht gehört hatte. Celtic Tradition stand auf der Platte und bezeichnete sowohl den Namen der Band als auch die Richtung aus der das musikalische Material stammt – es ist die aus der keltischen Kultur Irlands erwachsene Musiktradition mit ihren temperamentvollen Tänzen, den Jigs, Reels und Slides, den fröhlichen Liedern und traurigen Balladen.

Nach „Folk Music Festival“ (Amiga 8 55 940) und „The Sands Family“ (Amiga 8 45 206) ist „I Have Waited For Many A Night And Day“ nun die dritte Platte mit Volksmusik von der grünen Insel bei Amiga. Im Vergleich zu den Sands oder auch zu den auf „Folk Music Festival“ vertretenen Dubliners ist Celtic Tradition eine blutjunge Band (Gründungsjahr 1982). Daß die drei Musiker aber keine blutigen Anfänger. keine heurigen Hasen sind, beweist ein Blick auf ihre Biographien (sie alle haben seit früher Jugend ihr musikalisches Handwerk von der Pike auf gelernt), vor allem aber weist ihre Musik überzeugend nach, daß sie diese nicht als modisches Nebenher betreiben, und daß sie in dieser „keltischen Tradition“ mit großer stilistischer Sicherheit zuhause sind. Das ist zu hören an den mit sicherem Gespür effektvoll arrangierten (und wie alle Aufnahmen der Platte hervorragend produzierten) Instrumentaltiteln, die sehr frisch klingen und große Spielfreude verraten. Die drei Musikanten waren auch gut beraten, hierbei auf überstrapazierte Standards zu verzichten und unbekanntere Stücke aus dem unerschöpflichen Schatz irischer Volkstanzmelodien herauszusuchen. Für deren Arrangements fanden sie überzeugende Lösungen, bei denen neben den Melodieinstrumenten Geige und Akkordeon die „gezupften“ – Gitarre, Banjo und Mandola in ihrer ungemein „drivenden“ rhythmischen Funktion ein charakteristisches Markenzeichen abgeben. Assoziationen – diesen Stil betreffend – zur früheren irischen Gruppe Planxty stellen sich ein, ohne jedoch Abstriche an der Eigenständigkeit der Musizierweise von Celtic Tradition zu hinterlassen.

Das Instrumentalstück FANNY POWER eingangs der zweiten Seite unterscheidet sich auffällig von den zumeist auf pentatonischer Tonleiter basierenden, in beim ersten Hören häufig verwirrenden ostinativen Achtelfiguren ablaufenden Tanzweisen mit der starken suggestiven Wirkung, die sie aus der Wiederholung beziehen. Es ist eine Komposition des Harfenspielers Turlough O’Carolan, der im 17./18. Jahrhundert – als Zeitgenosse von Bach, Corelli und Vivaldi – durch Irland zog, und von dem eine ganze Reihe sehr schöner Melodien erhalten geblieben sind. O’Carolan war blind, und die Legende besagt, daß er seinen Schülern und Begleitern seine Kompositionen mit den Fingern auf und zwischen den Knöpfen seines Mantels deutete – als Ersatz für ein Notenliniensystem. Viele Stücke, die in vergangener Zeit von Harfnern wie O’Carolan verfaßt wurden, waren Huldigungen an Personen oder Familien, bei denen die Musikanten Gastrecht genossen hatten oder denen sie sich aus anderen Gründen verbunden fühlten. Einen ähnlichen Hintergrund muß auch die Entstehung des Stückes FANNY POWER gehabt haben. Allerdings hat die Melodie die Erinnerung an jene Dame überlebt, ohne noch Aufschluß auf sie zu geben.

Auch bei der Auswahl der Gesangstitel zu dieser Platte bewies Celtic Tradition eine glückliche Hand. Die Gruppe fand originelle temperamentvolle Liebeslieder wie das von PENNY PORTION, in dem ein junger Matrose sich in ein armes Bauernmädchen verliebt und sie heiraten will. Davon läßt er sich auch nicht von seiner offensichtlich auf eine günstigere Partie spekulierenden Mutter abhalten und verweist darauf, daß es ja wohl seinerzeit zwischen seinem Vater und ihr auch nicht viel anders gelaufen sei. Passend dazu TARRY TROUSERS auf Seite zwei, in dem ein Mädchen allen Anfechtungen durch Geld und Besitz widersteht und Ihrem Geliebten – einem Seemann – die Treue hält.

Trauriger, nämlich mit dem Verlust der Liebsten, der „bonie Irish lass“ endet RED IS THE ROSE, dessen Melodie weitgehend identisch ist mit dem schottischen LOCH LOMOND. Ein sehr schönes Lied, das fühlige Süßlichkeit vermeidet. Ebenfalls sehr schlicht gehalten ist LOVER’S GHOST, eine Variante eines in der traditionellen irischen Musik – im Gegensatz zur deutschen – häufig vorkommenden Themas: Der Geist der verstorbenen Geliebten erscheint des Nachts dem jungen Mann (in anderen Liedern ist es der Geist des auf dem Meer ertrunkenen oder in der Schlacht umgekommenen Geliebten, der dem Mädchen erscheint), um fü ein paar Stunden bei ihm zu sein. Sie ist bleich und kalt, und doch verbindet beide noch immer eine große Liebe, die sie den Hahn auf dem Hof bitten läßt, er möge noch nicht mit seinem Krähen das Ende der Nacht anzeigen. Der jedoch kräht bereits lange vor dem Morgengrauen, und das Bild der Geliebten entschwindet, um wieder in Ihr „Bett aus Lehm“ zurückzukehren. Die einfache Sprache und die sehr reizvoll harmonisierte Melodie machen diese Ballade zu einem der schönsten Liebeslieder der irischen Volksmusiktradition.

Und da ist schließlich noch AREGON MILL (BELFAST), eine Komposition eines US-amerikanischen Liedermachers namens Si Khan. Aus bitterem Anlaß haben die Fureys (ebenfalls zu hören auf Amigas „Folk Music Festival“) den Schauplatz dieser ursprünglich in den Südstaaten der USA angesiedelten Geschichte ins nord-irische Belfast verlegt, und die Tatsache, daß Celtic Tradition dieses Stück mit auf die Platte genommen hat, dürfte alles andere als zufällig sein. Da erzählt ein Mann, daß aus dem Schornstein der Textilfabrik „Aregon Mill“ am Ostende der Stadt kein Rauch mehr aufsteigt, da das Werk geschlossen wurde. Er weiß nicht, wohin er mit seiner Familie gehen soll, da er zwar zum Sterben noch zu jung ist, in seinem Alter aber keine Chance mehr hat, noch einmal Arbeit zu finden. All dies geschieht in knappen, unpathetischen Worten, die eine um so größere Betroffenheit auslösen.

Dies ist, wie gesagt, eine Platte, die eine gute Vertrautheit ausstrahlt. Vieles knüpft an Bekanntes und ist doch neu und unverkennbarer Stil von Celtic Tradition – der Gesang von Noel McLoughlin (Jahrgang 1953), sein modern aufgefaßtes sauberes und rhythmisch prägnantes Spiel auf Gitarre, Banjo und Mandola, das den Aufnahmen Gerüst wie exotische Färbung verleiht, – das Akkordeon – und Whistlespiel von Tom Lawlor (1956), bei dessen exakter virtuoser Spielweise es nicht verwundert, daß er in Irland schon mehrere Preise als bester Akkordeonist gewann und – schließlich – das stilsichere Empfinden von Ken Phillips (1958) auf der Geige. Eine weitere Spezialität von Ken, der die Band 1982 gemeinsam mit Noel McLoughlin gründete, ist bei einem Titel dieser Platte zu hören: ein paar Takte Steptanz in MISS MONAGHAN, womit er die Live-Konzerte von Celtic Tradition bereichert. Er wurde 1973 „All Ireland Champion“ beim nationalen Wettbewerb der Volkstänzer.

Manfred Wagenbreth (1984)

Titelliste

A1 – Reels: – 2:57
Easter Sunday (Traditional)
Garrykennedy’s Delight (Traditional)

A2 – Lover’s Ghost – 4:50
(Traditional / Traditional)

A3 – Hornpipes: – 4:38
An Páistin Fionn (Traditional)
The Rights Of Man (Traditional)

A4 – Penny Portion – 3:13
(Traditional / Traditional)

A5 – Aregon Mill (Belfast) – 3:05
(Si Khan / Si Khan)

A6 – Dancing Reel: – 1:52
Miss Monaghan (Traditional)

B1 – Fanny Power – 4:16
(Turlough O’Carolan)

B2 – Tarry Trousers – 2:42
(Traditional / Traditional)

B3: Jigs: – 3:30
Wellington’s Advance (Traditional)
The Road To Andy’s (Traditional)
Captain Peacock’s Favourite (Traditional)

B4 – Red Is The Rose – 3:54
(Traditional/Traditional)

B5 – Slides: – 4:04
Coleman’s (Traditional)
Jackie Daly’s Slide (Traditional)
Johnny Quilter’s Delight (Traditional)

Arrangements: Celtic Tradition
Titel 5: Noel McLoughlin

Celtic Tradition:
Noel McLoughlin – vocals, guitar, banjo, bodhran, mandola
Ken Phillips – fiddle, dancing
Tom Lawlor – accordeon, tin whistle

Übernahme von Verlag PLÄNE GmbH, Dortmund/BRD

VEB DEUTSCHE SCHALLPLATTEN BERLIN DDR
Made in the German Democratic Republic
Lithografie und Druck: VEB VMW „Ernst Thälmann“
Werk Gotha-Druck
Ag 511/01/85/A Verpackung nach TGL 10609

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